Von Judith Belfkih
- Musiktheater im besten Sinn: Händels Oratorium „Saul“ an der Wien.
Claus Guth schuf packende Bilder für die emotionale Sprengkraft von Händels „Saul“.© Monika Rittershaus
Claus Guth schuf packende Bilder für die emotionale Sprengkraft von Händels „Saul“.© Monika Rittershaus
Es sind kollektive Sehnsuchtsbilder, die Claus Guth verhandelt. Im konkreten Fall das Sehnen nach einem strahlenden Helden. Nach einem, der unbesiegbar scheint, von nichts und niemandem korrumpiert. Einer, der sich abhebt von den anderen, der Lebendigkeit und Glanz in die graue Alltäglichkeit oder gar Tristesse bringt. Und es sind natürlich die Mechanismen des Aufstiegs und des Falles eines solchen Helden, die den deutschen Regisseur interessieren – studiert und inszeniert in allen psychologischen und dramatischen Details. Im Theater an der Wien heißen die Helden Saul und David, Sauls Stern beginnt gerade zu sinken, der von David zu erstrahlen. Die emotional dichte musikalische wie dramaturgische Grundlage liefert Händels Oratorium „Saul“.
Claus Guth bleibt bei seiner Inszenierung nahe an der biblischen Vorlage, tritt aber immer wieder einen Schritt zurück und gestaltet frei assoziierte Szenen und Bilder, die das Oratorium zu einem kompakten und schlüssigen Stück Musiktheater machen. Die Figuren haben präzise gearbeitete Profile, machen jede für sich eine nachvollziehbare Entwicklung durch und stützen gemeinsam einen starken dramaturgischen Bogen.
Information
Musiktheater
Saul
Claus Guth (Regie)
Laurence Cummings (Dirigat)
Theater an der Wien
Termine: 20., 23., 25. & 27. Februar
Eindringliche Tragödie
Familienaufstellung, kollektiver Sehnsuchtsort, abgründige Innenschau der Figuren – dass all diese Ebenen des Abends funktionieren und ineinandergreifen, das liegt an der immer wieder neue Räume und Ebenen öffnenden Drehbühne von Christian Schmidt, am Schönberg Chor, der einmal mehr seine solitäre Stellung als Opernchor beweist – und mit dem Choreograf Ramses Sigl in allegorischen Bewegungsabläufen plastische Bilder für die Musik und deren Struktur entstehen lässt. Dazu kommen die Solisten, bei denen vor allem die Herren hervorstechen: Ein eindringlicher, bis ins Mark erschütternder Florian Boesch als in den Wahn gleitender König. Counter Jake Arditti als stimmlich souveräner junger und grundsympathischer David, der in aller Unschuld in die Rolle des Ruhmreichen und Mächtigen getrieben wird – mit der Krönung, so deutet Guth an, befällt auch ihn der Wahn, der zuvor Saul vernichtet hat. Und Andrew Staples als tragisch zerrissener Königssohn, der mit seinem starken Tenor aufhorchen lässt. Das homogene Ensemble ergänzen Giulia Semenzato und Anna Prohaska als Königstöchter.
Nach einem verhaltenen Beginn gelang es Laurence Cummings am Pult des Freiburger Barockorchesters, die zahlreichen klangfarblichen Effekte des Werkes herauszuarbeiten und als ebenbürtiger Partner dazu beizutragen, dass sich das Geschehen auf der Bühne und das im Graben immer wieder gegenseitig an Dramatik und Intensität entzündeten.
Den einzigen Vergleich, den Guth mit dieser Arbeit zu scheuen hat, ist der mit sich selbst – und seiner szenischen Aufbereitung von Händels „Messiah“, bei dem es ihm noch etwas präziser gelang, die pure Emotion eines zeitlosen Stoffes in packenden heutigen Figuren und Bildern zu verorten. Den Erfolg der bejubelten „Saul“-Premiere am Freitag schmälerte das jedoch keineswegs.