Theater sei einer der schönsten Arbeitsplätze, versichert Bettina Hering. Um dies zu beweisen, führt uns die neue Schauspielchefin der Salzburger Festspiele an eine Stelle im Großen Festspielhaus, wo es weder hell noch luftig noch frisch gestrichen ist.
Wir haben Sie gebeten, für Ihr Foto eine Tür zu wählen. Warum haben Sie sich die finstere Stelle hinter der Bühne ausgesucht?
Bettina Hering: Finster und abgelegen war nicht das Ziel. Ich wollte unbedingt eine Tür, die auf die Bühne führt. Das ist eine Schnittstelle, da passiert sehr viel.
Was denn?
Eine Verwandlung, da materialisiert und personalisiert sich Energie.
Passiert hier der Wandel der Privatperson in die Rolle?
Der erfolgt meist früher. Allerdings ist das unterschiedlich – je nachdem, wie ein Künstler sich vorbereitet. Die einen sind stundenlang mit Körper und Stimme beschäftigt, andere machen das kurz vor dem Auftritt. Das Besondere ist, dass man hier den entscheidenden Schritt setzt.
Was fasziniert Sie am Theater?
Es ist eine der schönsten Arbeitsformen! Hinter der Bühne kommen so viele Gewerke zusammen – Bühnentechnik, Licht, Ton, Requisite, Schneider, Gewandmeister, Elektriker, Tischler und viele mehr. Alle tun erstaunliche Dinge und alle sind fokussiert auf ein Ziel. Zudem bündeln sich im Theater alle meine Interessen – für Literatur ebenso wie für bildende Kunst.
Hinter der Bühne ist es finster, manchmal schmuddelig – abblätternde Farbe, rohes Holz. Vorn ist alles perfekt konstruiert, wie Fake.
Fake würde ich nicht sagen, sondern: janusköpfig. Es sind zwei Welten, die sich mit einander verzahnen und verschleifen. Die eine ist abhängig von der anderen. Beide sind echt, aber jede ist anders gepolt. Es ist faszinierend, diese Dualität herzustellen.
Ihr Büro ist an einem der höchsten Punkte der Festspielhäuser, hier haben Sie die weiteste Aussicht. Wirkt sich das aus?
Ja. Mein Beruf ist mit Recherche, Lesen, Nachdenken und Diskutieren verbunden. Dieser Blick in die Ferne, in den Himmel, auf die Kollegienkirche vermittelt Ruhe und je nach Wetter auch Dramatik. Schauen Sie, hier hinten ist das Grün des Mönchsbergs, zudem habe ich die unglaubliche Bühnentechnik der Felsenreitschule vor Augen. Man kann hinunterschauen auf die Beleuchtungsstände. Da, sehen Sie, jetzt fährt das Dach herauf!
Oscar Fritz Schuh hat eine „Salzburger Dramaturgie“ verfasst. Was ist Ihre Salzburger Dramaturgie?
Die ist pragmatisch, indem Markus Hinterhäuser und ich das Schauspiel- und das Opernprogramm miteinander verknüpfen. Wir wollen es zusammendenken. Detto das Konzertprogramm. Wir wollen an gemeinsamen Strängen arbeiten und einen inhaltlichen Geist kreieren. Auch wenn Festspielbesucher nicht alle Produktionen sehen, sollten sie Querbeziehungen erkennen.
Welche zum Beispiel?
Im Saison-Programmheft ist das mit einem Essay erläutert: Strategien der Macht. Und wenn ich weiß, wie das Opernprogramm inhaltlich aussehen kann, versuche ich, das im Schauspiel zu spiegeln.
Was aus der Oper spiegeln Sie?
„Rose Bernd“ ist das Spiegelstück zu „Wozzeck“. Beides sind starke Figuren, die unter der Macht leiden. Beide sind keine Strategen der Macht, sondern auf der Verliererseite. Bei Wozzeck entlädt sich die Zermürbung nach außen, bei Rose Bernd richtet sich die Verzweiflung nach innen. Ähnlich ist es mit „Lulu“ und „Lady Macbeth von Mzensk“. Beide sind Strateginnen, Lulu allerdings ist gleichermaßen Täterin und Opfer. Beide sind schillernde Persönlichkeiten, beide gehen mit ihrem Körper um, beide setzen das Frausein ein, verfangen sich aber in dieser Strategie.
Auch Kasimir und Karoline sind auf der Verliererseite, sie sind in der Abstiegs gesellschaft, sie sind Leidtragende. In „Geburtstagsfeier“ zeigt Harold Pinter, wie das Subjekt abhängig ist von einer Macht, die es nicht erkennt. Stanley kann sich aus einer manipulativen Welt nicht befreien. Er erkennt diese Strategien nicht, denen er unterworfen ist. Das macht ihn einsam.
Was im Spielplan ist wegweisend für Ihr Programm der nächsten Jahre?
Wichtig sind unterschiedliche Zugänge – ästhetisch wie in Regie-Stilen. Das geht von der Meisterregisseurin Andrea Breth, die akribisch und wundersam genau inszeniert, zu Karin Henkel, die einen unglaublich scharfen Blick für Schauspieler und deren künstlerisches Potenzial hat, die mit Stücken formal freier umgeht als andere. Athina Rachel Tsangari wiederum kommt vom Film, sie hat eine genaue ästhetische Vision. Das Regiekollektiv 600 Highwaymen arbeitet seit Jahren mit Schauspielern und Laien, und ihre Aufführungen haben große choreografische Anteile.
Ein anderer anfangender Schauspieldirektor ist Chris Dercon an der Volksbühne in Berlin. Was halten Sie von seiner Erneuerung des Theaters, der Öffnung für Tänzer und Performer?
Man muss das differenziert sehen. Das eine ist das Thema der anderen Künste. Das hat es immer schon gegeben – oft sind Quereinsteiger in den klassischen Theaterbetrieb gekommen, ob von Tanz oder Gesang. Das ist keine neue Erfindung, das sehe ich entspannt und befruchtend. Übrigens hat in der Hinsicht auch Max Reinhardt vieles initiiert, zum Beispiel war „Mirakel“ ein pantomimisches Stück, da waren Schauspieler, Tänzer und Einwohner von Salzburg dabei, das war sogar schon partizipatives Theater. Das andere ist eine Strukturdebatte.
Sie haben in Salzburg viele Vorgänger. Folglich ist das bisherige Schauspielprogramm disparat. Können Sie frei von Tradition disponieren?
Es gibt nur wenige längere Etappen in der jüngeren Zeit, die man beobachten kann, wie die klar ersichtliche Handschrift Peter Steins. Dazu kommen wichtige Anknüpfungspunkte wie die von Ivan Nagel, Frank Baumbauer, Martin Kušej. Es war interessant zu recherchieren, wer was gemacht hat.
Aber man muss seinen Weg gehen – für uns ist dies die Verschränkung mit der Oper. Zudem wollen wir Autoren und Stücke holen, die bisher noch nie hier aufgeführt worden sind. Da gibt es viele auch aus dem dramatischen Kanon – wie Hauptmann und Wedekind. Es ist erstaunlich, dass deren Werke noch nie bei den Salzburger Festspielen gewesen sind, obwohl Max Reinhardt beide protegiert und ihre Stücke in Berlin gespielt hat.
Sie knüpfen also an Max Reinhardt an, doch an den Berliner?
Ich habe mich sehr darum gekümmert, was dieser große Entrepreneur und Regisseur gemacht hat, gerade in Berlin. Dort hat er immer wieder neue Formate für seine Aufführungen gesucht – von Zirkus bis zu Kammerspielen. Die Verknüpfungen „Wozzeck“ und „Rose Bernd“, Gerhart Hauptmann und Max Reinhardt sind für mich glückhaft, noch dazu, weil „Rose Bernd“ eines der besten Stücke Hauptmanns ist.
Ihre Vorgänger der letzten 20 Jahre hatten es schwer. Einige gingen vorzeitig, einige waren Interim-Chefs, mit einigen gab’s Streit. Was macht Sie zuversichtlich, dass es bei Ihnen anders wird?
Ich plane mit ordentlicher Vorlaufzeit. Es ist wunderbar, dass ich fünf Jahre habe – dabei auch 2020, das 100-Jahre-Jubiläum. Das ist eine Herausforderung, dafür braucht man Zeit. Aber ich bin kein Sesselkleber. Die Zahl meiner Beschäftigungsjahre ist nicht das, womit ich mich viel beschäftige, ich habe anderes zu tun. Mir ist das Wichtigste, dass wir gut miteinander arbeiten und signifikante, neue Projekte finden und erfinden. Und da bin ich guten Mutes.
Fernsehen: „Festspiel-Talk“ mit Bettina Hering, Moderation: Ioan Holender, Servus TV,
3. August, 22.15 Uhr.
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